Studienplatzklagen – vor allem im Fachbereich Medizin – werden in aller Regel erhoben, wenn der Verdacht besteht, dass bei der Vergabe von Studienplätzen die an der Hochschule vorhandenen Kapazitäten nicht vollständig ausgeschöpft wurden. Ist es möglich das nachzuweisen, wird die Universität dazu verurteilt, an die klagenden Studienbewerber*innen eine bestimmte Anzahl an zusätzlichen Studienplätzen zu vergeben – ggf. entscheidet dann das Los unter den Kläger*innen.
Aber Studienplatzklagen kommen auch in einem anderen Kontext vor. Denn eine Studienplatzklage kann auch erfolgreich sein, wenn es im innerkapazitären Vergabeverfahren zu Fehlern kam bzw. die Rechtsgrundlage, auf der die Ablehnung eines Bewerbers beruht, rechtswidrig ist.
Im Sommer 2020 waren wir für einen Mandanten in einer solchen Konstellation erfolgreich aktiv. Unser Mandant war im Auswahlverfahren um einen Studienplatz Humanmedizin an der Hochschule der Charité Berlin zu Unrecht abgelehnt worden, da ein sog. „anerkennenswerter medizinischer Dienst“ zu Unrecht nicht bei der Vergabe des Studienplatzes berücksichtigt worden war (VG Berlin, Beschluss v. 03.09.2020, Az.: VG 30 L 12/20).
Vergabe der Studienplätze: Auswahlverfahren der Hochschule (AdH)
Studienplätze für das Fach Medizin werden für das erste Semester im gesamten Bundesgebiet zentral vergeben. Dabei vergibt die Stiftung für Hochschulzulassung (SfH) dreißig Prozent der verfügbaren Studienplätze – abhängig von der sog. Abiturbestenquote. Die Hochschulen im Bundesgebiet vergeben die verbleibenden siebzig Prozent. Anteilig davon werden zehn Prozent der Studienplätze anhand des Ergebnisses der sog. „zusätzlichen Eignungsquote“ (ZEQ) vergeben, sechzig Prozent anhand des Ergebnisses des sog. Auswahlverfahrens der Hochschule, abgekürzt (AdH).
Im Rahmen dieses AdH beziehen die Hochschulen unterschiedliche Faktoren bei der Vergabe der Studienplätze an die Bewerber ein. So wird u.a. das Ergebnis der Hochschulzugangsberechtigung einbezogen ebenso wie ein fachspezifischer Studieneignungstest und ggf. Tätigkeiten (Praktika, ehrenamtliche Tätigkeit etc.) oder Ausbildungen bzw. Vorbildung, die einen Bezug zum gewünschten Studium aufweisen und so Aufschluss über die Eignung des Bewerbers für den Studienwusch geben.
Gesetzliche Grundlage für AdH
Welche Faktoren für das AdH maßgeblich sind, ist für die Hochschulen im Land Berlin im Berliner Hochschulzulassungsgesetz (BerlHZG) verbindlich definiert. Hier ist u.a. aufgelistet, welche Tätigkeiten oder Dienste bei welchen Einrichtungen im Rahmen des AdH positiv zu berücksichtigen sind (§ 9 Abs. 3 BerlHZG i.V.m. Anlage 7 Studienplatzvergabeverordnung Stiftung), weil diese Tätigkeiten Auskunft über die fachspezifische Eignung geben.
Kein Studienplatz an der Charité – Tätigkeit bei AWO nicht berücksichtigt
Unser Mandant war seit 2017 in einem Ehrenamt für die Arbeiterwohlfahrt (AWO) tätig, explizit in einem Bereich mit medizinischem Bezug. Nach dem Abitur wollte er nun an der Hochschule der Charité in Berlin mit dem Medizinstudium (Humanmedizin) im ersten Fachsemester beginnen. Im Rahmen seiner Bewerbung bei der Stiftung für Hochschulzulassung verwies er u.a. auf seine ehrenamtliche Tätigkeit bei der AWO.
Seine Bewerbung bei der SfH um einen Studienplatz Medizin an der Charité war jedoch erfolglos, da u.a. die Tätigkeit bei der AWO im Punktevergabe-System bei der Studienplatzvergabe nicht berücksichtigt worden war. Der Grund: die Arbeiterwohlfahrt ist in der Auflistung der Anlage 7 der Studienplatzvergabeverordnung Stiftung nicht gelistet.
Wäre seine Tätigkeit bei der AWO berücksichtigt worden, hätte er für diesen Vorbildungsdienst 20 zusätzliche Punkte für das AdH erhalten. Ohne Einbeziehung erreichte er 42,5 von 61,4 Punkten, die für die Zuteilung eines Studienplatzes an der Charité notwendig gewesen wären.
Eilverfahren auf Zuteilung eines Studienplatzes
Um einen Studienplatz für unseren Mandanten im laufenden Sommersemester 2020 zu erhalten, stellten wir einen Eilantrag, der sich gegen die Ablehnung unseres Mandanten an der Hochschule der Charité richtete – mit Erfolg.
Unserer Auffassung nach war das Auswahlverfahren rechtsfehlerhaft, da der Vorbildungsdienst bei der AWO unrechtmäßig nicht berücksichtigt wurde. Die Tatsache, dass seine Tätigkeit bei der AWO nicht berücksichtigt wurde, und vor allem die Tatsache, dass
- die AWO nicht in Anlage 7 der Studienplatzvergabeverordnung Stiftung genannt und dass
- eine vergleichbare Tätigkeit z.B. beim DRK berücksichtigt worden wäre,
verletzt einerseits das Grundrecht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte (Art. 12 I GG) wie auch das Gleichheitsgebot nach Art. 3 I 1 GG.
Auswahlverfahren unrechtmäßig
Das Verwaltungsgericht Berlin teilte unsere Auffassung: dass die Tätigkeit bei der AWO im Rahmen des AdH nicht berücksichtigt wurde, sei eine Verletzung von Art. 12 I, Art. 3 I GG.
Denn die AWO gehöre wie z.B. das Deutsche Rote Kreuz zu den größten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege. Es sei damit nicht nachvollziehbar, warum eine Tätigkeit bei einem Verband anerkennungsfähig ist, die gleiche Tätigkeit bei einem vergleichbaren Verband hingegen nicht.
Zwar sei die Tätigkeit bei der AWO – anders als z.B. eine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), den Johannitern, Maltesern, der Feuerwehr, beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) oder beim Technischen Hilfswerk (THW) – nicht in der Anlage aufgeführt. Eine derart strikte Auslegung der Regelung, dass nur Dienste in den aufgeführten Einrichtungen anerkennungsfähig seien, verbiete sich aber bzw. ist eine Ungleichbehandlung, die zu einer Verletzung der Grundrechte aus Art. 12 I i.V.m. Art. 3 I GG führe. Somit ist Anlage 7 dahingehend auszulegen, dass die Auflistung nicht abschließend ist und vergleichbare Tätigkeiten im AdH ebenfalls anzuerkennen sind.
Studienplatz erfolgreich eingeklagt
Aus diesem Grund hätte die Tätigkeit unseres Mandanten bei der AWO anerkannt und im AdH mit 20 Punkten bewertet werden müssen. Wäre das korrekt erfolgt, hätte sein Ergebnis von 62,5 Punkten insgesamt die Zulassung zum Studium der Medizin (1. Fachsemester) bewirkt. Somit verurteilte das VG Berlin die beklagte Hochschule dazu, unseren Mandanten entsprechend zum Studium zuzulassen.
Studienplatzklage wegen Fehlern im Auswahlverfahren
Dieser Fall zeigt: erhält man im AdH keinen Studienplatz zugeteilt, kann es sich lohnen, die Ablehnung genau unter die Lupe zu nehmen und prüfen zu lassen, ob die Entscheidung rechtens war bzw. sogar die Entscheidungsgrundlagen – hier Anlage 7 – rechtens sind. Denn nicht alle Rechtsgrundlagen sind immer rechtswirksam – eine Vorschrift auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen, kann sich – wie hier – durchaus lohnen, in allen Bundesländern.
Sie haben Zweifel daran, dass das AdH in Ihrem Fall korrekt durchgeführt wurde? Ich prüfe das gerne für Sie! Sie erreichen mich telefonisch unter 0221/1680 6590 oder per E-Mail an info@kanzlei-franzen.de.